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Titel
Local responses to colonization in the Iron Age Mediterranean.


Autor(en)
Hodos, Tamar
Erschienen
London u.a. 2006: Routledge
Anzahl Seiten
X, 264 S.
Preis
£ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Daubner, Köln

In der Erforschung der Großen Kolonisation der späten Eisenzeit verlagerte sich der Schwerpunkt im letzten Vierteljahrhundert hin zu sozioökonomischen Aspekten und damit zu einem immer stärkeren Interesse an denjenigen Völkerschaften, die vor der Ankunft der Griechen oder der Phöniker schon am jeweiligen Ort siedelten.1 Womöglich mag man einen Teil dieses Interesses eher heimatkundlich-identitätsstiftenden Absichten zuschreiben, jedoch beweisen die in jüngerer Zeit verstärkten Grabungen in indigenen Siedlungen vor allem Unteritaliens und Siziliens, dass wir es hier mit einer komplexen und ausdifferenzierten Welt zu tun haben, die unidirektionale Konzepte von Kulturkontakten wie Akkulturation, Hellenisierung oder die Dichotomie von Zentrum und Peripherie obsolet macht. Der Einfluss postkolonialer Konzepte tut seit 1978 ein Übriges, um diesen Focuswechsel zu verstärken und zu beschleunigen, wenn er ihn nicht gar hervorgerufen hat. So haben Untersuchungen zu neuzeitlichen kolonialen Begegnungen in Nordamerika, in Südafrika und anderenorts den Blick dafür geschärft, dass die vorhellenistische griechische und die phönikische Kolonisation keineswegs auf Eroberung abzielten, sondern dass die Grundlage der frühen kolonialen Erfahrungen die Unfähigkeit zur hegemonialen Kontrolle über größere Territorien ist. Was entsteht, ist ein materieller und kultureller Middle Ground.2

Innerhalb dieses konzeptuellen Feldes verortet sich die hier vorzustellende Arbeit von Tamar Hodos. In der Einleitung (S. 1-24) erläutert Hodos ihr Konzept, das darin besteht, drei späteisenzeitliche Middle Grounds daraufhin zu untersuchen, wie die lokale Bevölkerung auf die Neuankömmlinge reagiert hat. Die Beispiele (Nordsyrien: S. 25-88; Sizilien: S. 89-157; Nordafrika: S. 158-199) hat sie gewählt, weil hier jeweils Griechen und Phöniker um die Aufmerksamkeit der Indigenen konkurrierten.3 Dieses Ziel bedingt eine generalistische Herangehensweise; beeindruckend ist die Fülle an verarbeiteten Detailuntersuchungen (Literaturverzeichnis: S. 217-256) und die Durchdringungstiefe der vielgestaltigen Materie.4 Jedes Kapitel ist in gleicher Weise gegliedert, um den Überblick besser zu gewährleisten: Populations, chronologies, communities, burial customs, religious practices, consumption patterns, artistic styles und written voices werden in den jeweiligen Unterkapiteln behandelt; nach der Vorstellung der Elemente der indigenen materiellen Kultur werden diese also auf Übernahmen, Einflüsse und hybride Manifestationen hin geprüft, die dann wiederum als intentionelle Akte des Einzelnen oder der Gruppe gedeutet werden. Dies klingt nach einer konventionellen Vorgehensweise und ist es auch – im positiven Sinne freilich: Das theoretische Gebäude wird benutzt, um Fragestellungen zu entwickeln, und nicht als vorgegebener Sinnhorizont missbraucht.

In Nordsyrien war seit dem 12./11. Jahrhundert v.Chr. die Dominanz bürokratischer Großmächte durch kleine, nach Unabhängigkeit strebende Gemeinwesen zurückgedrängt worden. Expansionsbestrebungen des Assyrischen Reichs und des seemächtigen Phönikertums kollidierten mit diesen aramäischen, israelitischen und neo-hethitischen Kleinmächten; an der Küste entstanden Handelszentren wie Al Mina, Ras el Bassit und Tell Sukas, die auch von Griechen frequentiert wurden. Jedoch könne von griechischer Kolonisation hier noch keine Rede sein. Es ging um Luxuswaren- und Metallhandel, der durchaus nicht nur zwischen Griechen und Phönikern stattfand, sondern an dem auch Aramäer und andere Nordsyrer beteiligt waren. Auf diesem Middle Ground fanden die entscheidenden, von Händlern und Handwerkern getragenen Prozesse statt, die zur „Orientalisierung“ der griechischen Welt und zur Entwicklung der griechischen Schrift beitrugen.5 Griechischen Einfluss findet man im Orient kaum. Gewisse Aspekte der materiellen Kultur (vor allem Trinkgefäße) wurden gern angenommen, aber das Interesse der Einheimischen blieb grundsätzlich schwach.

Die vorgriechische Bevölkerung Siziliens wird traditionell, den griechischen Schriftstellern folgend, in Elymer, Sikaner und Sikuler geschieden, auch wenn sich die Grenzen dieser Kulturen oder Ethnien im materiellen Befund kaum nachvollziehen lassen. Im Vergleich zu den anderen beiden Untersuchungsgebieten von Hodos’ Studie liegt zu Sizilien eine Unmenge an Material vor, was die Untersuchung bei allem Überblick zur stichprobenartigen Abhandlung zwingt. Ab dem 8. Jahrhundert legten Phöniker und Griechen ihre Siedlungen auf der Insel an; bereits ab dem 7. Jahrhundert kann man griechische, aber kaum phönikische Einflüsse auf die Indigenen fassen. Deutlich zu machen, dass es sich verbietet, diese Einflüsse und Übernahmen bestimmter materieller und symbolischer Güter als Hellenisierung zu deuten, ist ein grundsätzliches Anliegen der Untersuchung. Die aktive Rolle bei dieser höchst selektiven Adaption kam den Indigenen zu, die nur bestimmte Formen (Keramikformen und -dekorationen, architektonische Elemente, Alphabete, Bestattungssitten) übernahmen und diese den eigenen Erfordernissen anpassten. Diese Erfordernisse selbst seien nicht in ethnischen Kategorien zu fassen, sondern durch soziale Faktoren anderer Art bestimmt.

Die Indigenen Nordafrikas – von Hodos mangels trennscharfer Kategorien meist als Libyer bezeichnet – waren im Gegensatz zu denen Nordsyriens und Siziliens Nomaden. Importe sind erst ab dem 4. Jahrhundert festzustellen (in den Gräbern erst ab dem 1. Jahrhundert v.Chr.!); fast alles, was man genauer datieren und deuten kann, ist römerzeitlich; die älteren materiellen Hinterlassenschaften dieser Völker sind nicht datierbar.6 Dieser Befund führte zur communis opinio, die Griechen und die Phöniker hätten in Nordafrika keine Handelsinteressen verfolgt, sondern hauptsächlich nach Ackerland gesucht. Hodos lehnt eine solche Deutung ab und schlägt vor, auch hier die Indigenen als den aktiven Teil zu sehen, in diesem Fall allerdings nicht bei der Annahme, sondern bei der Ablehnung des Fremden und Neuen. Die Libyer hatten kein Interesse an auswärtigen Handelsgütern, also konnte kein Handel stattfinden. In der griechischen Kyrenaika waren die Verhältnisse allerdings durchaus verschieden von denen im phönikischen Tripolitanien; Griechisches war bei den Indigenen im unmittelbaren Hinterland der griechischen Siedlungen weit verbreitet, und eine schärfer differenzierende Betrachtung gerade der Kyrenaika im Unterschied zu den tripolitanischen und den Wüstengebieten hätte der Untersuchung sicher gut getan und einige Pauschalisierungen und Merkwürdigkeiten verhindern können.7 Die Frage, warum die Einheimischen Nordafrikas über drei Jahrhunderte kein Interesse an den Fremden hatten, wird wohl vorerst ungeklärt bleiben müssen.

Es ist immer ein zwiespältiges Unterfangen, einen zusammenfassenden Überblick über Forschungsfelder zu geben, die im steten Fluss begriffen sind. Gleichwohl kann ein solches Wagnis großen Nutzen bringen, wenn es nämlich dazu führt, dass Fragestellungen, offene Probleme und Kontroversen aus einem kleinen Spezialistenzirkel heraus getragen werden. Der Gegenstand des Bandes ist ein universal bedeutsamer; Hodos hat ihn beispielhaft in seiner Relevanz erläutert. Dass sie sich einer letztendlichen Klärung oder Antwort lediglich annähern konnte, liegt in der Natur der Sache. Dem Wert dieses reich bebilderten, sorgfältig produzierten und durch ein Register gut erschließbaren Bandes tut es keinen Abbruch, dass er mehr Fragen aufwirft, als er beantworten kann.

Anmerkungen:
1 Einen guten und sehr ernüchternden Überblick über diesen Paradigmenwechsel und die Forschungsprobleme, die er hervorruft oder verstärkt, gibt immer noch Morel, Jean-Paul, Greek Colonization in Italy and in the West (Problems of Evidence and Interpretation), in: Hackens, Tony u.a. (Hrsg.), Crossroads of the Mediterranean, Providence 1984, S. 123–161.
2 Zu Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung postkolonialer Theorien auf die griechische Kolonisation siehe jüngst Malkin, Irad, Postcolonial Concepts and Ancient Greek Colonization, in: Modern Language Review 65 (2004), S. 341–364. Hier S. 357 eine treffliche Definition des Middle Ground-Konzepts: „The Middle Ground is a field in which each side plays a role dictated by what it perceives as the other’s perception of it, resulting from the mutual misrepresentation of values and practices. In time this role-playing [...] creates a ‚third‘ civilisation that is neither purely native nor entirely imported by the colonizer.“ Das Konzept von Zentrum und Peripherie wird unter dem Einfluss moderner Globalisierungsdebatten durch die der Connectivity und der Mediterranisierung ersetzt, welche im Grunde antik und polybianisch sind (Polyb. 1,3). Siehe dazu Morris, Ian, Mediterraneanization, in: Malkin, Irad (Hrsg.), Mediterranean Paradigms and Classical Antiquity, London 2005, S. 30–55.
3 Ich behalte die freilich nicht korrekte Bezeichnung „Indigene“ bei, da sie eingebürgert und verständlich ist. Hodos vermeidet den Begriff, jedoch kann ich ihre Schöpfungen non-foreign bzw. non-colonial populations nicht für treffender erachten.
4 Hodos hat zuvor selbst zahlreiche Detailarbeiten zu Nordsyrien und zu Sizilien vorgelegt, ist also keine Theoretikerin und Generalistin, was ihrem nun vorgelegten Überblick sehr zugute kommt. Nahezu gleichzeitig ist eine von den gleichen theoretischen Prämissen ausgehende umfangreiche mikroarchäologische Untersuchung zu drei indigenen Orten in Unteritalien und Sizilien erschienen, die den besprochenen Band hervorragend ergänzt: Streiffert Eikeland, Katarina, Indigenous Households. Transculturation of Sicily and Southern Italy in the Archaic Period, Göteborg 2006.
5 Zuletzt dazu Burkert, Walter, Die Griechen und der Orient, München 2003.
6 Beispielsweise werden einige Keramikformen aus Marsa Matruh, die lange als bronzezeitlich galten, mittlerweile in die Spätantike datiert: Hulin, Linda, Marmaric Wares: New Kingdom and Later Examples, in: Libyan Studies 32 (2001), S. 67–78.
7 Eine nicht uninteressante Volte taucht auf S. 179 auf: Eindeutig griechische Grabsitten bei Indigenen der Kyrenaika zeigen nicht etwa griechischen Einfluss, sondern belegen die Kenntnis der griechischen Grabsitten! Eine solche Differenzierung dürfte m.E. letztendlich nicht tragfähig sein. Auch dürfte die S. 196 auftauchende Idee, Libyerporträts anhand ihrer „non-Graeco-Roman physical features“ zu erkennen, unpraktikabel und überholt sein.

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